Kommentar

Ein Hoch auf den «tiefen Staat» – weshalb Trumps Verschwörungstheorien die Demokratie im Kern treffen

Ist der amerikanische Präsident das Opfer einer Verschwörung aus dem Innern des Staatsapparates? Zumindest behauptet er dies unablässig. Was Populisten wie er verdammen, gehört in Wirklichkeit jedoch zu den Grundfesten jeder Demokratie.

Andreas Rüesch
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Der amerikanische Präsident Trump stellt sich als Opfer eines Umsturzversuches dar. Das erweist sich als eine wirkungsvolle Propagandastrategie.

Der amerikanische Präsident Trump stellt sich als Opfer eines Umsturzversuches dar. Das erweist sich als eine wirkungsvolle Propagandastrategie.

Evan Vucci / AP

Populisten unterscheiden sich von anderen Politikern in einem wichtigen Punkt: Ein Wahlsieg ist für sie keineswegs der Schlusspunkt im Kampf um die Macht. Vielmehr beginnt, so wollen sie es dem Publikum weismachen, damit nur die nächste Etappe, nämlich der Kampf mit den finsteren Elementen der Bürokratie, die den Volkswillen zu hintertreiben versuchen. Während traditionelle Grossparteien einen Wahlsieg als Auftrag verstehen, die Staatsmaschinerie zu übernehmen und in ihrem Sinne zu lenken, misstrauen Populisten diesem Apparat zutiefst. In einem von Verschwörungstheorien geprägten Weltbild ist es nicht damit getan, ein paar neue Minister einzusetzen und ab und zu ein Dekret zu unterzeichnen.

Nach dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Donald Trump forderte dessen damaliger Chefideologe, Steve Bannon, konsequenterweise etwas viel Radikaleres: die «Zerstörung des administrativen Staates».

Ein willkommener Feind

Auch Liberale haben Mühe mit wuchernden Staatsstrukturen, vor allem dort, wo sie die Freiheit des Einzelnen unnötig begrenzen und unternehmerische Initiative ersticken. Populisten, gleich welcher Couleur, zielen jedoch auf etwas ganz anderes ab. Ihnen geht es nicht um ein freiheitliches Staatswesen, sondern um freie Bahn bei der Machtausübung. Dabei dient ihnen die Bürokratie als willkommener Feind, gegenüber dem sie sich als Volkstribune inszenieren können. Zugleich eignet sich der Verweis auf die Beharrungskräfte der Bürokratie als Ausrede, wenn die Erfolge im Regierungsalltag ausbleiben.

Die Vorstellung eines «tiefen Staates», eines Geheimbundes namenloser Saboteure in den Eingeweiden der Verwaltung, erfreut sich daher bei populistischen Regierungschefs grosser Beliebtheit. Der Begriff hat eine bemerkenswerte Geschichte hinter sich. In den neunziger Jahren diente er oft dazu, die in alle Gesellschaftsbereiche ausstrahlende Macht der türkischen Armee zu beschreiben. Linke Kreise in den USA sahen in der Verquickung von Militär und Rüstungsindustrie ebenfalls einen «tiefen Staat». In neuerer Zeit ist dies aber vor allem ein Kampfbegriff rechter Populisten geworden.

Nicht nur Trump bedient sich seiner regelmässig. Der Brite Boris Johnson warnte vor seinem Aufstieg an die Regierungsspitze ominös vor einem «deep state», der sich gegen den vom Volk gewünschten Brexit verschworen habe. Dunkle Mächte sieht seit langem auch Polens Regierung am Werk; sie prangert die Richterschaft als feindliche «Kaste» an, der man das Handwerk legen müsse.

Natürlich hat es etwas Skurriles, wenn Trump drei Jahre nach seinem Amtsantritt noch immer über die Bösartigkeit des Staatsapparats schimpft. Er hätte reichlich Zeit gehabt, die nötigen personellen Weichen zu stellen. Oft sind es jedoch seine eigenen Leute, die er nach kurzer Zeit mit Schimpf und Schande entlässt – ein Widerspruch, der seine Anhänger nicht zu stören scheint.

In zwei Punkten hat der Präsident jedoch recht: Ohne Zweifel stösst er in den Rängen der Washingtoner Bürokratie überwiegend auf Ablehnung. Ebenso wenig lässt sich leugnen, dass Teile der Administration ihre institutionellen Eigeninteressen verfolgen und Trump dabei regelmässig ausbremsen. Häufige Informationslecks sind ein Ausdruck davon, aber sie gehören zum Spiel in Washington – schliesslich steckt ja auch Trumps Umgebung den Medien routinemässig vertrauliche Informationen zu, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Wirkungsvolles Propagandamittel

Bezöge ein Marsianer seine Informationen über die Erde einzig aus den Twitter-Mitteilungen des amerikanischen Präsidenten, so müsste er zutiefst verstört sein: In Washington lauern offensichtlich überall Verräter und Verschwörer, die auf einen Staatsstreich gegen den erfolgreichsten und beliebtesten Präsidenten des grossartigsten Landes der Erde hinarbeiten. Wer dies als Ausgeburt eines kranken Hirns abtut, übersieht die zynische Genialität dieser Propaganda: Das Feindbild des «tiefen Staates» hilft Trump ganz offenkundig, jede Kritik ins Leere laufen zu lassen.

Jedem anderen Präsidenten hätte die Russland-Affäre oder spätestens die Ukraine-Affäre das Genick gebrochen. Der Russland-Sonderermittler Robert Mueller wies nicht nur nach, dass Moskau zugunsten Trumps in den Wahlkampf 2016 eingegriffen hatte, sondern auch, dass sich das Führungsteam des Republikaners aktiv um wahlpolitisch nützliche Informationen aus russischen Quellen bemüht hatte und dass das Verhalten des Präsidenten in der Affäre den Tatbestand der Justizbehinderung erfüllen könnte. Nicht zuletzt warf die Untersuchung ein Schlaglicht auf die kriminelle Energie im Dunstkreis Trumps; fünf seiner Berater erhielten eine Gefängnisstrafe. Die Ukraine-Affäre wiederum brachte zutage, wie der Präsident eine von den USA abhängige ausländische Regierung unter Druck setzte, um sie für eine Kampagne gegen einen innenpolitischen Gegner einzuspannen.

In einer weniger aufgeheizten Atmosphäre wäre wohl den allermeisten Amerikanern klar, dass solche Machenschaften dem Grundgedanken der Demokratie zuwiderlaufen. Aber Trump hat die Untersuchungen gegen ihn wirkungsvoll als Putschversuch eines «tiefen Staates» gebrandmarkt. Er hat es damit geschafft, zumindest die eigene Basis bei der Stange zu halten.

Besagter Marsianer – oder jeder interessierte Bürger – muss schon recht genau hinsehen, um im Nebel der Twitter-Petarden Trumps Lügengebäude zu durchschauen: Weder war die Einleitung der Russland-Untersuchung illegal oder gar parteipolitisch motiviert; dies hat ein interner Aufsichtsbericht unlängst bestätigt. Noch ist es statthaft, den damaligen FBI-Direktor und seinen Stellvertreter als Kriminelle zu bezeichnen; von Trump angestrengte Untersuchungen gegen die beiden ergaben nichts von strafrechtlicher Relevanz. Ebenso haltlos ist es, den anonymen Hinweisgeber, der die Ukraine-Affäre ins Rollen brachte, als Spion zu verunglimpfen; der zuständige Behördenchef hat dem Autor der internen Beschwerde vielmehr ein mustergültiges Verhalten bescheinigt.

Unentbehrlicher Teil einer echten Demokratie

Etwas haben die Affären aber eindrücklich bestätigt: Es besteht ein klarer Gegensatz zwischen den amerikanischen Justizbehörden, den Geheimdiensten und dem diplomatischen Korps einerseits und dem Präsidenten anderseits. Von einer Verschwörung kann jedoch keine Rede sein. Der Widerstand aus der Bürokratie ist vielmehr ein gesunder Reflex in einem Staatswesen, das seit je auf «checks and balances» setzt, auf ein Zusammenspiel machtpolitischer Gegengewichte. Trumps erster Verteidigungsminister, James Mattis, soll laut einer gut verbürgten Anekdote einmal einen dringenden Anruf des Präsidenten entgegengenommen haben. Dieser wies ihn mit einem Schwall von Flüchen an, den syrischen Diktator Asad zu töten. Mattis versprach umgehend die Planung eines Militärschlags, hängte auf und sagte einem Mitarbeiter: «Wir werden nichts dergleichen tun.» Das war zweifellos Insubordination – aber eine gut begründete. Ein solcher Angriff hätte gegen internationales wie auch amerikanisches Recht verstossen und wäre kaum mit nationalen Interessen legitimierbar gewesen.

Was Populisten als «tiefen Staat» verdammen, ist daher in den meisten Fällen ein durchaus heilsames Gegengewicht. Der Rechtsstaat, eine nach gesetzlichen Vorgaben operierende Bürokratie, aber auch Parlamente, Medien und eine wache Bürgergesellschaft können den Launen eines Staatschefs Grenzen setzen. Populisten nehmen für sich in Anspruch, das von den Eliten entmündigte Volk zu befreien – da liegt es nahe, jeden Widerstand als Verrat an ebendiesem Volk zu geisseln. In Wirklichkeit sind es gerade diese Gegengewichte, die das Wesen einer funktionierenden Demokratie ausmachen und sie vor autoritären Verirrungen bewahren.

Trumps Affären zeigen den «tiefen Staat» insgesamt in vorteilhaftem Licht: Der Russland-Sonderermittler Mueller war kein machthungriger Ideologe, ebenso wenig, wie es sich bei den im Kongress zur Ukraine-Affäre befragten Diplomaten um finstere Verschwörer handelte. Viel eher passt auf sie das altbackene Wort «Staatsdiener» – pflichtbewusste Beamte, die eine Karriere unter republikanischen wie auch demokratischen Präsidenten durchlaufen haben und die für das Funktionieren eines Staates unentbehrlich sind.

Noch machen solche Fachkräfte ihre Präsenz bemerkbar, aber Trumps Trommelfeuer zeitigt Folgen. Die massive Verkleinerung des diplomatischen Korps und nun die Ernennung eines Geheimdienstkoordinators ohne jegliche Erfahrung in der Geheimdienstarbeit sind klare Signale, dass bedingungslose Loyalität für diesen Präsidenten zentral ist, fachkundige Bürokraten jedoch wenig zählen. Auf die vielen Vakanzen in hohen diplomatischen Positionen angesprochen, bekannte Trump einmal: «Der Einzige, auf den es ankommt, bin ich.» Ob dieses autoritäre Staatsverständnis auch künftig gelten soll, werden Amerikas Wähler in weniger als neun Monaten entscheiden müssen.