«Schweiz wird zum Zufluchtsort für ‹Homo-Heiler›»

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Politik macht Druck«Schweiz wird zum Zufluchtsort für ‹Homo-Heiler›»

Weil Deutschland «Konversionstherapien» verbietet, flüchten «Heiler» in die Schweiz. Ein SP-Nationalrat fordert ein Verbot.

Darum gehts

  • Deutschland hat Konversionstherapien für Homosexuelle bei Minderjährigen verboten.
  • Eine umstrittene Gruppierung setzte sich deshalb nun in die Schweiz ab.
  • SP-Nationalrat Angelo Barrile fürchtet, dass die Schweiz zum Hort für «Homo-Heiler» wird.
  • Es brauche deshalb auch in der Schweiz ein Verbot.
  • Die betroffene Gruppe wehrt sich: «Wir machen keine unseriösen Angebote.»

Der deutsche Gesundheitsminister greift gegen sogenannte Konversionstherapien durch. Jens Spahn (CDU) verbietet jegliche «Interventionen bei Minderjährigen, die die sexuelle Identität oder die selbst empfundene geschlechtliche Identität» verändern wollten. «Homosexualität ist keine Krankheit», so Spahn. Sein Gesetz tritt in wenigen Wochen in Kraft. Oft sind es evangelikale Gruppen, die etwa Homosexualität als psychische Krankheit sehen und als heilbar erachten. Künftig müssen sie mit einem Jahr Freiheitsstrafe rechnen.

Erste Gruppe setzt sich in die Schweiz ab

Aufgrund der verschärften Gesetzeslage hat sich die Gruppierung «Bruderschaft des Weges» in die Schweiz abgesetzt. Sie hat hierzulande im Mai einen Verein gegründet. Die rund 30 Männer erleben ihre Homosexualität als «konflikthaft» und wollen diese «nicht leben». In der «heilenden Gemeinschaft» wollen sie füreinander beten.

Ebenso listet sie «Zeugnisse» von Homosexuellen auf, die ihre «homosexuellen Gefühle» überwunden haben und jetzt mit einer Frau verheiratet sind. So berichtet ein Mann unter dem Pseudonym Markus: «In meiner Selbsterforschung erkannte ich, dass meine homosexuellen Gefühle mit Selbsthass zusammenhingen.» In Deutschland gelten solche Zeugnisse als Werbung für Konversionen und sind nun verboten.

SP-Politiker fordert Verbot

Jetzt beschäftigen die Aktivitäten der «Homo-Heiler» auch die Schweizer Politik. SP-Nationalrat Angelo Barrile hat eine Interpellation an den Bundesrat eingereicht. Für ihn zeigt das Beispiel der «Bruderschaft des Weges», dass die Schweiz zum Zufluchtsort für «Homo-Heiler» wird. Deshalb müsse auch die Schweiz das Gesetz anpassen, um insbesondere Minderjährige zu schützen. Barrile fordert vom Bundesrat, dass die Schweiz ebenfalls ein Verbot erlässt. «Jugendliche sind besonders verletzlich und können durch selbst ernannte ‹Heiler› in psychische Krisen bis hin zu Depressionen und Suizid gestürzt werden.»

Auch Susanne Schaaf von der Fachstelle Infosekta beobachtet die Szene. «Früher wurde Homosexualität als das Wirkungsfeld von Dämonen bezeichnet, heute ist in diesen Kreisen eher von Identitätskrise die Rede» erklärt sie. Gelebte Homosexualität wird als sündiges Verhalten verstanden, das die Betroffenen von Gott wegführe.

Problematisch sei auch, dass sich die Angebote oft an junge, verunsicherte Männer richteten. «Durch eine Therapie stürzen sie verunsicherte junge Männer in grosse seelische Not. Bei wem sich die Veränderung nicht einstelle, leide möglicherweise unter Schuldgefühlen und befürchte, dass Gott ihn nicht liebe. Sie würde ein Verbot zum Schutz der Betroffenen ebenfalls begrüssen. «Wenn Konversionstherapie in der Schweiz erlaubt ist, besteht das Risiko, dass die entsprechenden Aktivitäten deutscher Heiler in die Schweiz verlagert werden.»

«Seelisches Leid beheben»

Neben der «Bruderschaft des Weges» sind in der Schweiz weitere Akteure tätig, darunter etwa der Verein Wüstenstrom in Pfäffikon ZH. Dieser wurde einst vom Markus Hoffmann in Deutschland gegründet, der nun als «Prior» bei der Schweizer Bruderschaft amtet. Der freikirchliche Theologe Rolf Rietmann von Wüstenstrom Schweiz preist auf der Website aktiv Konversionstherapien an.

Auch Psychiater treten als «Schwulenheiler» auf. Der «Gesundheitstipp» schleuste letztes Jahr einen jungen homosexuellen Mann bei einem Psychiater ein, der ein entsprechendes Angebot führte – bezahlt von der Krankenkasse. Daraufhin forderte die Organisation Pink Cross ein Verbot von Konversionstherapien.

Der entsprechende Vorstoss von Rosmarie Quadranti (BDP) ist noch hängig. Der Bundesrat hält jedoch fest, dass ein Verbot nicht möglich sei, weil es keine «keine bereichsspezifischen Gesetzgebungen» gebe.

«Wir missionieren nicht»

20 Minuten hat Markus Hoffmann von der «Bruderschaft des Weges» mit der Kritik konfrontiert. Er betont, man biete überhaupt keine Beratung und Therapie an. «Wir müssen niemanden missionieren und sind nicht als Homo-Heiler einzuordnen.» Zudem sei man nicht in die Schweiz gekommen, um «unseriöse Angebote zu machen». Vielmehr seien die Aktivitäten die Bruderschaft unter dem neuen weitreichend formulierten Gesetz zu Unrecht als Konversionswerbung eingestuft worden, weshalb die Rechtslage dort nun zu unsicher sei.

Die «Umpolung» und «Konversionsbehandlung» lehnt Hoffmann vehement ab. «Wenn wir beraten, dann nur solche Menschen, die Ähnliches leben wie wir, oder Menschen, die einfach mal mit jemandem reden wollen, der seine sexuelle Orientierung anders erlebt.»

Die eigenen Zeugnisse von Homosexuellen, die jetzt mit ihrer Sexualität nicht mehr in Konflikt leben, sieht Hoffmann nicht als problematisch an: «Diese Zeugnisse zielen nicht darauf ab, irgendjemanden zu verändern. Sie bezeugen nur, dass es unter dem Regenbogen viele Farben gibt.» Zum Verein Wüstenstrom Schweiz sagt Hoffmann: «Was er anbietet, wissen wir nicht, und es besteht keinerlei Kontakt zu diesem Verein.» Er betont, dass die Bruderschaft weder personell, juristisch noch inhaltlich etwas mit Wüstenstrom Schweiz zu tun habe. Bis Redaktionsschluss blieb die Anfrage von 20 Minuten bei Wüstenstrom Schweiz unbeantwortet.

So läuft die «Therapie» ab

Wie eine Konversionstherapie ablaufen kann, beschrieb die «SonntagsZeitung» anhand zweier Fälle. Oft besteht die «Therapie» aus Gesprächen. Bei Wüstenstrom Schweiz kostet eine Beratung über 1¼ Stunden 135 Franken und versucht, «unbewusste Gefühle und Bedürfnisse» zu ergründen. Ein Mann berichtete in der «SonntagsZeitung», bei einem anderen Anbieter seien auch typisch männliche Aktivitäten Teil des Programms gewesen. «Mit Mentoren spielte ich Fussball und balgte.» Ihm sei auch eine «Umarmungstherapie» verschrieben worden. Beim Umarmen von Männern sollte er männliche Nähe auf eine kollegiale, nicht sexuelle Art kennen lernen. In Deutschland und den USA kursieren auch Berichte über Elektroschocktherapien für Homosexuelle, wie sie bis in die 1960er-Jahre verbreitet waren.

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